Modellfliegertypenkunde für Anfänger
Von: A. Nitsch
„Der „Rentner“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Es handelt sich bei ihm um einen meistenteils älteren Jahrgang. Modellflug betreibt er nach
eigener Auskunft seit mindestens 40 Jahren, wobei sich der angegebene Zeitraum in zweiter
Potenz zu den verflossenen Jahren verlängert. Er bringt natürlich jede Menge Erfahrungen
mit, seine Meinung hat Gewicht, vor allem bei den Jüngeren. Er kennt alle Tricks und Kniffe,
leider ist aber sein Wissenstand irgendwo vor 25 Jahren steckengeblieben. Er setzt auf
bewährte Technik, seine Multiplex „Royal“ ist ihm genauso wie sein „Big Lift“ ein treuer
Begleiter in allen Lebenslagen. Den Verkauf der Nieferner Traditionsfirma an einen
fernöstlichen Konkurrenten hält er für den Untergang des christlichen Abendlandes. Er duzt
Hans Graupner und hat mit dem alten Ledertheil die erste FMT Ausgabe zusammengeheftet.
Ist er nicht mit seinem „Big Lift“ unterwegs, benutzt er einen Elektro-Motorsegler, dessen
Motor noch von W. Bosch persönlich handgewickelt wurde. Am Leitwerk prangt
unübersehbar ein Aufkleber „Teck-Pokal `74“, um allfälligen Diskussionen von vorneherein
den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Andere beliebte Modelle des Rentners sind der „Telemaster“ sowie Eigenbauten aus
Sperrholz, deren Ursprünge offensichtlich in ehemaligen Rückwänden eines Kleiderschrankes
zu finden sind.
Die Zeit zwischen den Flügen vertreibt er sich gerne mit einem Bierchen und endlosem
schwadronieren über vergangene Tage.
„Der „Elektroflieger“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Der Elektroflieger ist im Grunde gar kein Modellflieger, sonder ein getarnter
Starkstromtechniker. Er hantiert mit Strömen, die jeden DDR-Kraftwerksbetreiber zur
Plansollerfüllung gereicht hätten. Sein Bastelkeller gleicht einem Messlabor und seine
Stromrechnung der eines Imbissbetriebes. Er bevorzugt Kraftfahrzeuge mit hoher Zuladung,
weil er sonst die sechs LKW Batterien nicht mitbekommt, die er zum Laden braucht.
Sein Ladegerät erinnert an einen sibirischen Eisenbahn-Gleichrichter. (Vor der Revolution).
Typische Modelle hat der Elektroflieger nicht, weil mittlerweile auch Regalwände via Volt
und Ampere zum fliegen gebracht werden. Sein Traum ist ein Fusionsreaktor im Sub-C
Format. (Nach der Revolution). Die Zeit zwischen dem Akku-Laden verbringt er mit Fliegen.
Eine Sonderform des Elektro- ist der: „Schaumwaffel-Flieger“
Seinen Namen hat diese Spezies nach seinem Modellflugzeug, was in etwas so aussieht, als
hätten ein paar wildgewordene Recycling-Mitarbeiter versucht, einem Origami das fliegen
beizubringen. Sein Baumaterial beschafft sich der richtige Schaumwaffel-Flieger im
Baumarkt, wo es normalerweise verkauft wird, um Plattenbauten unter die
Wärmeemissionsgrenze einer nuklearen Explosion zu drücken.
Richtig fliegen kann er eigentlich gar nicht, diesen Umstand versucht er dadurch zu
kaschieren, das sein Flugbild mehr dem einer Hummel auf Crack ähnelt.
Das Rumgezappel endet natürlich öfter mal in der Grasnabe, macht aber nix, mit etwas
Paketklebeband ist der Schaden schnell wieder behoben und das Modell war ohnehin schon
vorher hässlich wie ein toter Iltis vor’m Schminken.
Der „Experimentator“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Der Experimentator hat sich und sein Dasein alleine der Forschung verschrieben.
Vorgefertigte Lösungen oder eingefahrene Abläufe verursachen ihm Abscheu und
Ekelgefühle. Er fliegt vorzugsweise mit: eingeschobener Senderantenne, ausgeschaltetem
Empfänger, leerem Tank oder zumindest hilfsweise mit fragwürdigen
Antriebskonstellationen. Seine Fernsteuerung sieht aus, als wenn er sie normalerweise unter
einer Parkbank im Garten überwintern lassen würde.
Gerätepflege und sachgerechter Umgang sind für ihn ebenso Fremdwörter wie sorgfältige
Montage oder regelmäßige Kontrollen.
Die sind auch eigentlich völlig unnötig, weil seine Modelle selten die Halbwertszeit einer
Wurstsemmel erreichen.
Trifft ein Experimentator auf einen Rentner in einer Person, so entsteht eine kritische Masse.
Er ist an sich Spezialist für ballistische Flüge, erreicht er aber doch einmal versehentlich eine
Flughöhe, die für eine Platzrunde ausreichen würde, so tut man gut daran, sich zumindest
unauffällig nach der nächstgelegenen Deckung umzusehen.
Sein Traum ist ein selbstladender Empfängerakku und ein Sender mit Motorantenne.
„Der „Freak“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Für ihn geht Modellfliegen über alles. Seinen Idealen haben sich Kollegen, Partner und sein
Bankkonto unterzuordnen. Er hat mindestens sechs Fachzeitschriften abonniert, kennt alle
Preislisten auswendig und referiert aus dem Stegreif einen halbe Stunde über den
Schrumpfungsfaktor von alt-rosa Bügelfolie.
An seiner Ausrüstung ist alles irgendwie optimiert, weil der Freak herausgefunden hat, dass
käufliche Lösungen durchgängig suboptimal sind. Seine Startbox beinhaltet neben einer
Kraftstoffpumpe aus der Weltraumtechnik eine herausklappbare Drehbank, eine
Espressomaschine, eine Mobil-Toilette und ein Dutzend durchgebrannter Glühkerzen.
Seine Fernsteuerung benötigt zur Inbetriebnahme ein abgeschlossenes Studium der
Informatik, wohingegen sein Modell schon so mit Elektronik vollgestopft ist, das man nach
dem Fixieren der Kabel eigentlich schon den Rumpf weglassen könnte.
Deswegen fliegt der Freak auch häufig Großmodelle, weil da in irgendeiner Ecke immer noch
Platz ist für ein Telemetriemodul, das die Oberflächentemperatur der Höhenflosse ermittelt
und behilfs einer NATO-Seefunkstrecke an einen amerikanischen Kollegen übermittelt.
Ist der Freak mit einem Segelflugzeug-Modell unterwegs, kann man sicher sein, das sich
mindestens drei Flächenprofile, vier Spannweiten und die Kragenweite des Konstrukteurs
ferngesteuert abrufen lassen. Er träumt vom Einsatz der Original-Software eines Airbus-
Autopiloten in seinem Sender und von CNC gesteuerten Klopapier-Abrollern.
Der „Heli-Flieger“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Vor der Erfindung der Jet-Modelle war er eine anerkannte Größe im Modellbau-Business,
weil jeder wusste, das es kaum eine andere Möglichkeit gab, für so ein bisschen Plastik so
viel Geld auszugeben. Weil obendrein an den Dingern auch kaum was zu reparieren geht,
sorgen 10 Heli-Flieger allein für den Grundumsatz eines mittleren Modellbau-Einzelhandels.
Deswegen ist der Heli-Flieger eigentlich auch gar kein Modellflieger, sondern ein
Hybridwesen zwischen einem Märklin-Baukasten-Monteur und einer Tupperware-
Verkäuferin.
Bei konsequentem Einsatz bringt schon der einzelne Heli-Flieger jeden geordneten
Flugbetrieb zum Erliegen, weswegen er auf den meisten Flugplätzen etwa so beliebt ist wie
Heuschnupfen.
Kann er nach jahrelangem Rumhovern dann endlich fliegen, ist ihm die Geschichte auch
schon wieder langweilig, er versucht sich an gesteuerten Kunstflugmanövern oder albernen
Spielchen wie Bierflaschumschubsen oder Rasenmähen im Rückenflug.
Weil ihm die dauernden Reparaturkosten letztlich aber doch Ärger mit dem
Haushaltsvorstand eingebracht haben, ist er der prädestinierte Kunde für einen PCFlugsimulator.
Hier verbringt er dann den Rest seines Lebens, weil er der festen Meinung ist,
die durch den Programmierer vorgegebene Absturzkurve durch Willenskraft zu beeinflussen.
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Der „Motoren-Einsteller“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Er ist die graue Eminenz in Sachen Modell-Verbrenner, er ist die materialisierte Kompetenz.
Was Alan Greenspan für die US-Notenbank, ist er für die Verbrenner-Szene. Er betrachtet
die vergeblichen Startversuche seiner Vereinskollegen mit einer gewissen überlegenen Ironie,
wobei er keine Hilfe anbietet, er will gefragt werden. Kein technischer Ablauf ist ihm fremd,
solange ein intermittierender Verbrennungsvorgang im Spiel ist. Er erkennt 25 verschiedene
Spritsorten am Abgasgeruch und genau so viele Motorenhersteller am Klang. Er hat schon
mindestens zwei Mal erfolgreich einen Kurbelwellen-Lagersatz erneuert und einem Motor
chinesischer Herkunft zu eigenständigem Lauf verholfen. Häufig ist der Motoreneinsteller
schon etwas älter und/oder übt einen Beruf mit mechanischem Hintergrund aus, was seinen
Aussagen zusätzliches Gewicht verleiht. In seiner Werkstatt finden sich mindestens 20
original-verpackte Modellmotoren (unbenutzt) und der Starschnitt von Mechwerkandi, den er
für eine gottähnliche Lichtgestalt hält. Auf dem Flugplatz ist er meistens eher der
verschrobene Einzelgänger, weil ohnehin kein anderer seinen Hypothesen über die
Gasdynamik feuchter Winde folgen kann. Oder will.
Äußert er eine negative Meinung zu einem Motorenhersteller, so ist das gleichbedeutend mit
einem erheblichen Umsatzeinbruch desselben, woraus meistens ein gewisses
Spannungspotential entsteht. Weil der Hersteller das zu vermeiden sucht, versichert er sich
rechtzeitig der Mitarbeit des Motoreneinstellers, die sich in Form von Testberichten in sog.
„Fachzeitschriften“ manifestiert.
Für den Motoreneinsteller ist die Modellfliegerei eigentlich eher Mittel zum Zweck, weil für
einen Formel 1 Rennstall das Geld nicht reicht und er ohnehin schon alles gewonnen hat.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Elektroantrieben ist der Motoreneinsteller eine vom
Aussterben bedrohte Gattung, was er mit einer gewissen Tragikomik kommentiert.
P.S.:
Treffen zwei Motoreneinsteller aufeinander, so entsteht eine überkritische Masse.
Der „Wichtige“
Man trifft ihn auf fast jedem Modellflugplatz...
Eigentlich hat er in dieser Auflistung nichts verloren, weil er sich zwar ständig auf dem
Flugplatz herumtreibt, mit Modellsport an sich aber nichts zu am Hut hat. Für ihn ist das
Hobby eher störend, weil es ihn an seiner selbstauferlegten Kontrollfunktion hindert. Er ist
der geborene Flugleiter und Vereinsjustitiar in einer Person. Der virtuell erhobene Zeigefinger
gehört genauso zu ihm wie ein fundiertes Halbwissen über Platzordnung, Luftrecht für
Anfänger und die EU-Verordnung über den Elastizitätskoeffizienten von Tragflächengummis.
Im Vereinsleben bekleidet der „Wichtige“ häufig so unentbehrliche Posten wie des dritten
Kassenwart-Vertreters oder des Flugplatzzufahrtsberechtigungs-Bevollmächtigten. Das ihn
dabei keiner so richtig ernst nimmt, wurmt ihn zwar ein Stück weit, verschafft ihm aber im
gleichen Moment neue Ansatzpunkte in Form von faltigen Bespannungen, fehlenden
Frequenzmarken, nachlässiger Bekleidung und unkorrektem Haarschnitt.
Das Auftreten von Vereinskollegen wie dem „Experimentator“ verursachen bei ihm
regelmäßig quasi-hysterische Anfälle und sind damit bei ihm genauso beliebt wie Gastflieger,
in denen er allerdings stets ein Primärziel für seine formaljuristischen Einlassungen sieht.